Bernd und Hilla Becher
In dem Werk von Bernd und Hilla Becher verbinden sich klassische Momente der Archivierung mit innovativer künstlerischer Ästhetik im Rückgriff auf die große Tradition des dokumentarischen Realismus. So zielt das dokumentarische Konzept der Bechers nicht etwa auf eine Idealisierung der von ihnen photographierten Industrieobjekte, vielmehr geht es darum, diese erkennbar zu machen und damit in einer neuen Art und Weise für die Wahrnehmung zu erschließen. Diese Form der Wahrnehmungsschulung hat im Laufe der Jahre in unterschiedlichste Bereiche hineingewirkt, und das Werk berührt seinerseits ganz verschiedene Betrachtungsebenen und Disziplinen: die Industriearchäologie, die Architektur, die Ingenieurskunst, die Wissenschaft und schließlich den großen Bereich der Kunst, in dem Bernd und Hilla Becher inhaltlich wie formal neue Maßstäbe gesetzt haben. Ihre Photographien von Wassertürmen, Fördertürmen, Gasbehältern, Hochöfen, Kühltürmen, Getreidesilos oder Kalkwerken bewahren die wohl wichtigste Epoche der industriellen Entwicklung, die in etwa die Zeit von 1870 bis 1960 umfaßt. Rund 100 Jahre technischer Innovationen und Experimente, die im industriellen Sektor weltweit immer neue und verbesserte Apparaturen und Funktionsbauten hervorbrachten, die ihrerseits in ständiger Veränderung und schon in der Phase ihrer Konstruktion letztlich Provisorien waren.
„Man mußte diese Objekte festhalten, um sie zu konservieren, da sie schließlich doch verschwinden würden“, sagte Bernd Becher vor einigen Jahren in einem Interview, und dabei schwingt ein wenig Sentimentalität, denn mit der Industrie war er aufgewachsen und hatte sie schon in jungen Jahren zu seinem künstlerischen Thema gewählt. Zunächst zeichnete Bernd Becher die unterschiedlichsten Industriebauten, oftmals vor Ort in den Erzgruben des Siegerlandes, bevor er die Kamera als Gedächtnisstütze einsetzte, um die Zeichnungen später im Atelier zu vollenden. Bald war die Kamera mehr als ein Hilfsmittel, und Bernd Becher begann nunmehr, Aufbereitungsanlagen, Fördertürme und Häuser rein photographisch zu erfassen und in Gruppen nach Ähnlichkeit zusammenzustellen. Auch Hilla Wobeser, die in Potsdam aufwuchs, wo sie in einem traditionsreichen Photographenatelier eine Lehre absolvierte, hatte eine Vorliebe für sachliche Dokumentationsaufnahmen entwickelt. Als sich beide 1957 in Düsseldorf kennenlernten, wo Hilla Becher zunächst in einer Werbeagentur arbeitete, bis sie, wie schon zuvor Bernd Becher, das Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf aufnahm, war das gemeinsame Ziel schnell gefunden. 1961 heirateten Bernd und Hilla Becher und setzten ihre Arbeit nunmehr unabhängig von der Akademie fort.
Schon Anfang der 1960er Jahre begannen sie, ihre Photographien in der bis heute bekannten Art und Weise zu strukturierten und zu systematisierten. Hierzu gehören die oftmals frontale Erfassung der Objekte, der leicht erhöhte Aufnahmestandpunkt, die Übertragung architektonischer Gesetzmäßigkeiten auf den Bildaufbau, kontinuierliche Lichtverhältnisse und schließlich die Entscheidung für das Medium der Schwarzweißphotographie. Die dokumentarische, vergleichsweise statische Vorgehensweise der Bechers, die in Deutschland in den 1960er Jahren im Zeitalter der Reportage und Beweglichkeit noch als ganz und gar „antimodern“ angesehen wurde, erlaubte es, die Objekte mit größtmöglicher Präzision ins Bild zu setzen und Bauten gleicher oder unterschiedlicher Funktion in vergleichenden Serien zusammenzustellen. Die Typologie als eine Facette der Naturwissenschaften wurde für Bernd und Hilla Becher zu einer verbindlichen Präsentationsform ihrer Photographien und sollte das Bild ihres Werkes gerade in Ausstellungen für lange Zeit bestimmen.
Mittlerweile wissen wir, daß die Methode der Bechers noch weit komplexer und umfassender ist, als es allein die Typologie zu vermitteln vermag. So gibt es im Becherschen Werk neben den Typologien, optische Abwicklungen, die ein und dasselbe Objekt von verschiedenen Standpunkten aus wiedergeben, Gesamtansichten – sogenannte Landschaften, in denen die einzelnen Objekte in ihrem Ursprungskontext lokalisierbar werden und wofür die jüngste monographische Publikation der Bechers steht –, weiterhin Einzelbilder, Detailaufnahmen und schließlich Dokumentationen ganzer Anlagen. Ein Thema, das Bernd und Hilla Becher seit 1996 in Zusammenarbeit mit der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur sukzessive aufarbeiten und damit langfristig an einem Ort zusammenführen.
Werfen wir noch einmal einen kurzen Blick auf die Wirkungsgeschichte des Becherschen Werkes, das in seiner Entwicklung bis heute zwischen Tradition und Avantgarde verankert ist. In den späten 1960er und 1970er Jahren wurden ihre Photographien vor allem im Rahmen der damals über Amerika aufkommenden Minimal und Concept Art rezipiert, deren Vertreter in vergleichbarer Weise um den Wert dokumentarischer Instrumentarien wußten und für die die Auseinandersetzung mit der durch die Industrie gestalteten Umwelt im Zusammenhang mit der Frage nach kultureller Identität konstituierend war. Erst in späteren Jahren wurde das Werk der Bechers auch im Kontext photographiehistorischer Vorläufer diskutiert und situiert, wobei Bernd und Hilla Becher vor allem die Photographien von Eugéne Atget, August Sander und Walker Evans als geistesverwandte Positionen hervorheben. Mit gleichem Interesse bezeugen sie ihren Respekt vor den frühen Industriephotographien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, der sie methodische Momente entlehnten und die sie gewissermaßen im Ausschlußverfahren für ihre eigene Arbeit heranzogen. „Wir (aber) wollten“, so Hilla Becher in einem Interview, „zu den Ursprüngen der Photographie selbst zurück, da sie ein sehr kostbares Mittel ist, die Realität darzustellen. Sie ist sogar ein Geschenk des Himmels.“
Diese vorbehaltlose Offenheit für historische wie zeitgenössische Positionen und Methoden verdeutlichte sich auch in der eigenen Lehrtätigkeit von Bernd und Hilla Becher. Rufen wir uns in Erinnerung, daß Bernd Becher von 1976 bis 1996 den ersten eigenen Lehrstuhl für künstlerische Photographie an der Kunstakademie in Düsseldorf innehatte. Die hieraus hervorgegangenen künstlerischen Positionen mit Namen wie Candida Höfer, Thomas Struth, Andreas Gursky oder Thomas Ruff sprechen mit ihrem Bekanntheitsgrad und ihrer Bedeutung im Kunstkontext für sich selbst. Ihre Werke verdeutlichen inhaltlich wie formal weniger den Einfluß ihrer einstigen Lehrer, sondern bezeugen vielmehr den geistigen Freiraum künstlerischer Äußerungsformen.
„Denn was wir tun“, und ich zitiere noch einmal Bernd Becher, „ist letztlich Geschichten erzählen, und zwar, indem wir Dinge präsentieren, die ihre eigene Geschichte erzählen.“ Obgleich das „wir“ an dieser Stelle die Werke von Atget und Sander einschließt, ließe sich der Inhalt mühelos auch auf die Arbeit der einstigen Becher Schüler übertragen.
Die Nachhaltigkeit des Werkes von Bernd und Hilla Becher spiegelt sich darüber hinaus in einer Reihe von wichtigen Preisen und Ehrungen, ihnen im Laufe der letzten Jahre zuteil wurde, darunter der Goldene Löwe der Biennale in Venedig 1990, der Kaiserring der Stadt Goslar 1995, der Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2001 und der Erasmuspreis im Jahre 2002. Der 2004 verliehene International Award in Photography der Hasselblad Foundation in Göteburg setzte auch im Bereich der Photographie einen vorläufigen Höhepunkt.
(Auszug aus einer Rede von Dr. Susanne Lange anlässlich der Bekanntgabe der Hasselblad-Preisträger 2004 am 9. März 2004 in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln)
Weitere Informationen können bei der Photographischen Sammlung angefragt werden: Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur Köln